Bei einem (selbsternannten) Grand Amateur des Weins (also jemand der unsinnige Mengen Zeit und Geld in das Thema Wein investiert), kommt irgendwann der Moment, wo der große Aufwand, den man um sein teures Hobby treibt, gerechtfertigt werden muss. Man möchte dann zeigen, dass man nicht einfach nur viel trinkt, sondern dabei auch was gelernt hat. Der fortgeschrittene Genießer entwickelt dann ein gewisses Mitteilungsbedürfnis. Manch einer leitet teure Châteauneuf-du-Pape Verkostungen oder langweilt seine Umgebung mit ausschweifenden Vorträgen über die Auswirkungen der Reblausplage im 19. Jahrhundert. Andere fangen das Podcasten an oder schreiben zumindest eine Website mit Texten voll. Wirklich interessant wird es, wenn man sich dabei etwas spezialisiert, denn wirklich jede Rebsorte, jedes Weinanbaugebiet und jeden guten Wein zu kennen ist als Amateur (egal wie groß) deutlich zu viel verlangt. Man muss also seinen Größenwahn mit seinen eigenen Vorlieben kombinieren, damit etwas dabei heraus kommt, in meinem Fall halt ein ausgewachsener Champagnerfetisch. Es soll also heute darum gehen, warum eigentlich Champagner?
Eine gesunde Dosis Megalomanie ist nämlich noch nicht Grund genug, sich ausschließlich dem exklusiven Getränk der Reichen, Schönen und Großkopferten zu widmen. Oder zu behaupten, dass man etwas davon verstünde. Letzteres würde ich auch niemals wagen, Sie lesen diese Texte also auf eigene Gefahr.
Der Grund sich dem Champagner zu widmen geht allerdings über die persönliche Zuneigung zu tollem Schaumwein hinaus, ebenso über die Freude am Schreiben (es gilt die übliche Warnung, dass Freude am und Talent zum Schreiben nicht das Gleiche sind). Es gilt vielmehr, dass man bei ausgeprägter Freude am sprudelnden Wein automatisch immer wieder bei Champagner landet. Selbst bei der Beschäftigung mit Sekt oder Ähnlichem, stellt sich früher oder später heraus, dass der Weingutsgründer in der Champagne gelernt hat, oder das man sich strikt an den dortigen Methoden, Prinzipien oder Rebsorten orientiert oder das man jetzt eine Qualitätsoffensive starten und mit den großen der Champagne in Konkurrenz treten will. Selbst der billige Fusel wird einem gewöhnlich mit einer Beschreibung der Kategorie „mindestens so gut wie Champagner, dabei 85% billiger!“ angedreht. So oder so schließt sich der Kreis zum Ursprungsgebiet der Schäumer stets aufs Neue. Kein Wunder, ist doch die Champagne nicht nur die Wiege des Schaumweins sondern auch das einzige große Weinanbaugebiet, das sich exklusiv dem selbigen verschrieben hat. Und wenn sich eine ganze Gegend mit Herz und Seele einem Produkt als Kernaufgabe widmet, nicht nur als „Sowas haben wir auch im Angebot“, dann entsteht dabei nach und nach etwas ganz besonderes.
Schaumwein ernstgenommen, Champagner als Hauptsache, ist also unser Ausgangspunkt. Und wenn man nun den Schaumwein als Wein ernst nimmt, nicht nur als Partygetränk oder als Sprudelwein zum Anstoßen, dann wird bald klar, warum es erstmal nur um Champagner gehen kann. Die besten Schaumweine, kommen aus der Champagne. Die Basisqualitäten sind hier am besten. Die größte Vielfalt an unterschiedlichsten und oftmals faszinierenden Schaumweinen gibt es in der Champagne. Und selbst das Argument, dass Champagner relativ günstig ist, lässt sich machen. Wenn Sie nämlich einmal die Spitzenweine der Kategorien Rotwein oder Weißwein suchen, finden Sie sehr schnell die absurdesten Preise. Bei Rotwein beispielsweise landen Sie vermutlich schnell bei Bordeaux oder Burgundern, Supertuscans oder manchmal in Kalifornien. Auf jeden Fall landen Sie aber bei höheren dreistelligen, teils vierstelligen Flaschenpreisen. Bei Weinen, die Sie im Normalfall erstmal einige Jahre unter besten Bedingungen einlagern müssen bis sie hoffentlich zum richtigen Zeitpunkt das gewünschte Genusserlebnis bieten. Beim Champagner bekommen Sie haufenweise Spitzenprodukte, die besten und interessantesten Weine einer Kategorie, für niedrige, dreistellige Summen, teils sogar für unter 100 Euro. Und jahrelanges Warten darauf, dass sich ein „Trinkfenster“ (Oh Schade, viel zu früh aufgemacht! Oh Schade, der ist hinüber, zu lange liegen gelassen!) genau dann öffnet während man gerade zufällig hinsieht, entfällt normalerweise auch. Nun sind 50 oder 100 oder 150 Euro für eine einzige Flasche Wein natürlich immer noch eine enorme Summe Geld, aber weniger als vergleichbare Flaschen ohne Sprudel. Der Einwand, dass Champagner teuer ist, wird natürlich besonders im Vergleich mit anderen Blubberweinen vorgebracht. Denn für Rotwein 50 Euro hinzulegen, fällt anscheinend sehr viel leichter. Aber wenn man Schaumwein nicht ernst nimmt, kann man auch keine ernsthaften Preise bezahlen. Wenn es nur darum geht, die Gläser mit irgendeinem alkoholhaltigen Getränk das sprudelt zu füllen, möglichst eiskalt, in fancy Flöten serviert, dann ist der Zweck wohl eher das Ambiente und der Eindruck für die Gäste. Wie es denn schmeckt, ist eine Frage die für den Aperitif wohl eher nicht gestellt wird.
Nichts gegen den Aperitif, aber bei der Behandlung von Schaumwein als zweckgebundenem Nischenprodukt sind sich alle einig, von Bordell bis Schloßhochzeit, der Sprudelwein hebt vor der eigentlichen Veranstaltung die Stimmung und ansonsten ist die Qualität eher unwichtig. Die Assoziationskette zum Champagner ist lang, von Hedonistengetränk über Bordelbrause, bis zum Kapitalistensprudel wird der Schampus mit Superyachten und Snobs, mit Partyproleten und obszöner Verschwendung gleichgesetzt. Nichts davon hat im entferntesten mit Wein und dessen Genuss zu tun.
Das Marketing der Champagne, dass schon lange auf Exklusivität, die Verbindung zu Geld und Macht (wer hat schon eine Kundenkarte von A wie Anlagebetrüger bis Z wie Zar von Russland?) und viele absurde Darstellungen von Luxus setzt, ist freilich nicht unschuldig daran.
Auch wenn die Leistung, die beim Etablieren der Marke Champagne erbracht wurde, freilich mehr als nur beeindruckend ist. Das Marketing sprudelt eben auch enorm und manchmal etwas absonderlich. Die attraktive Zirkusdame mit Sonnenschirm auf Einrad mag verstehen, wer will. Oder wer verfolgt, welcher Hersteller mit wem kooperiert. Der ästhetische Überkandidelismus ist aber sicher nicht universell ansprechend. Trink mich, ich bin schön!, scheint aber wunderbar zu funktionieren. Den Rest tut die historisch tradierte Liebe der (bereits erwähnten) Reichen, Schönen und Großkopferten zum Getränk. Churchill UND de Gaulle, also quasi Hund und Katz, tranken gern Champagner, haben gar posthum je ihre eigene Cuvée verliehen bekommen. (Ganz im Gegensatz übrigens zu Ihrem damaligen Widersacher, dem Großdeutschen Pervitinjunkie, der hier ansonsten unerwähnt bleiben soll. ) Man ist also in exaltierter Gesellschaft und möchte nicht hintanstehen.
Es sei denn, man interessiert sich wirklich, echt jetzt, tatsächlich für den Wein. Dann kommt man um die Luxushersteller immer noch nicht herum, weil deren Weine teilweise ganz fantastisch sind. Aber man hat zusätzlich noch die andere, unbekannte Champagne der Winzer und kleinen Produzenten. Der Weinhandwerker und esoterisch vereinnahmten Weinmacher die in Weinberg und Keller tüfteln, bis ganz bonfortionöse Sprudelweine entstehen, die man anderswo und für halb so viel Geld halt leider nicht findet. Italien hat jede Menge interessante Schäumer zu bieten, beim Sekt gibt es gerade einen neuen Sturm & Drang, Spaniens Cavas liefern zuverlässig gut und günstig. Aber das Niveau und die Vielfalt der Champagne? Unerreicht! Am Ende bleibt immer eine leichte Unzufriedenheit, dass man vielleicht auch Champagner hätte haben können. Das es immer noch feiner, eleganter, kraftvoller, langanhaltender, intensiver und noch genussvoller hätte sein können. Hätte man nicht ein paar Euro sparen wollen mit dem Cava. Hätte man sich nicht aus Italien ein paar Kartons Schaumwein mitgebracht, die vor Ort irgendwie besser waren. Hätte man sich nicht irgendeinen Sekt als „genau so gut wie Champagner!“ aufschwatzen lassen. Genau wie im richtigen Leben ist es auch beim Schaumweintrinken, am Anfang wie am Ende, steht immer der Champagner. Aus einer richtigen Schaumregion. Wo man die Rebsortenkombination nach langer Zeit perfektioniert hat und immer noch nicht fertig ist. In der Champagne nimmt man eben nicht einfach was gepflanzt wurde und macht damit Schaumwein. Man pflanzt, um damit Schaumwein zu machen. Dort wo die Weine jahrelang und länger noch in der Flasche nach der zweiten Gärung reifen, während sie andernorts schon lange verkauft wurden. Aus einem Anbaugebiet, dass sich voll und ganz dem besten Schaumwein widmet.
Ich fürchte also, ich hatte keine Wahl. Ich mag Schaumwein sehr und dann konnte es nur auf eine Weise enden: Beim Champagner. Aber danken Sie mal nach. Ein Glas von irgendeinem Frizzante, das lässt man auch mal stehen. Eine Sektpyramide, fängt man da zu Träumen an? Eine Cavaparty, geht einem da das Herz schneller? Niemand lehnt Champagner ab, besonders wenn ein Anderer bereits bezahlt hat. Letztlich ist nicht nur der Champagner, der Wein, unvergleichlich, sondern auch Champagner, das Erlebnis. Wenn es Plopp macht, wird es still. Es schlägt das Herz mit einem Male schneller, die Gesichtszüge hellen sich auf und die lautlose Erregtheit braust wie Donnerhall durchs Partyvolk wenn der Ruf ertönt: Heute gibt’s Champagner!