Wenn sich nun also ein großer Anlass ankündigt, sagen wir zum Beispiel Silvester, können Sie damit beginnen die Flöten zu polieren, die Flaschen kaltzustellen und die Vorfreude aufzuwärmen. Der Spaß am Getränk beginnt beim Champagner nämlich schon vor dem Schnüffeln, Schlürfen und Schlucken. Das Fest beginnt schon beim Versuch, sich des Flascheninhaltes zu bemächtigen. Ein Champagner zelebriert das Öffnen der Flasche als sinnliches Erlebnis.
Allein schon die dicken Flaschen, die dem Druck von gewöhnlich 6 Bar standhalten müssen, machen einiges her. Nicht nur Ihr Autoreifen ist da beeindruckt. Viele höherklassige Stillweine setzen ja inzwischen ebenfalls auf mächtigere Glasflaschen, ohne dass es dafür einen technischen Grund geben würde. Die schwere Flasche liegt gut in der Hand und die übliche Glanzfolie über Flaschenhals und Korken kündigt vom besonderen Vorgang. Selbige wird natürlich nicht einfach abgeschnitten wie beim gemeinen Wein, sondern wird lustvoll auf- und abgerissen bis der obere Teil der Flasche nackend vor einem steht.
Dem Keuschheitsgürtel nicht unähnlich wartet nun die Agraffe (und dieses Wort, das ist astreines Angeberwissen!), wartet nun also die Agraffe um Korken und Flaschenende gewickelt, dem vorschnellen und vor allem selbstständigen Entkorken vorbeugend. Hier hilft nur ein vorsichtiges Abwickeln und Verbiegen des Drahtes und die ruhige Hand ist gefragt um die Flasche nicht zu sehr zu erschüttern. Und wenn schlußendlich das komplette Drahtgestell abgepopelt ist, folgt der Höhepunkt des Vorgangs.
Falls Sie nicht gerade vorhaben den näheren Umkreis mit Ihrem mehr oder weniger wertvollen Champagner zu besprühen, gilt es auch hier vorsichtig vorzugehen. Behutsam drehen Sie die Flasche aus dem Korken oder umgekehrt und letztlich entlädt sich die Vorfreude im sattesten und befriedigendsten Plöpp der Weinwelt.
Champagner wäre nicht der König der Schaumweine, wenn nicht auch hier noch eine besondere Variante existieren würde, die Ehrfurcht und Neid erweckt. Der Franzose verwendet beim Weinmachen gern auch mal rustikale Begriffe und gerade beim Champagner wird es gelegentlich blutig bis martial. Das Saignée Verfahren, also der Aderlass, hat naturalment nichts mit Blut zu tun und beim Dégorgement werden auch keine Kehlen durchgeschnitten. Klingt halt geiler als Abschlämmen. Die Krönung des Ganzen ist nun die Sabrage. Hier kommt jetzt endlich, zumindest falls verfügbar, waschechtes Kriegsmaterial zum Einsatz, wenn die Flasche einfach per Säbel geköpft wird.
Selbst der Weinfreak geht hier mit ungewöhnlichem Respekt zu Werke, und das hat nichts mit der legendenumrankten Erfindung des Vorgangs durch napoleonische Offiziere zu tun. Flaschenöffnen für Fortgeschrittene, nichts anderes haben wir hier, auch wenn der Vorgang recht einfach konzipiert ist. Selbst die Flasche ist durch ihren Aufbau entgegenkommend, sie sollte stets an der gleichen Stelle brechen. Üben, üben, üben, verbleibt hier als einziger Rat. Der Flasche mit dem Schwert rituell zu Leibe zu rücken steigert den Effekt gewaltig, setzt Sie aber auch dem Risiko aus, das Dekorum doch noch zu verlieren.
Zumal wenn die eigene Frau das Smartphone auf einen richtet, während man volle 3 Minuten versucht, mit dem auch sonst nutzlosen IKEA Messer eine renitente Flasche Winzerchampagner zu enthaupten. Natürlich ohne Erfolg, während die Anwesenden mitverfolgen können wie das überhebliche Siegerlächeln zur schamvoll-entschuldigenden Grimasse zerschmilzt. Wir lernen also erstens, nicht die stumpfe Seite des Messers zu verwenden, und zweitens nur die erste Flasche des Abends zu köpfen. Der Schwierigkeitsgrad steigt proportional zum Alkoholkonsum. Als sich das Ritualopfer dann schlußendlich bereiterklärt, seinen Kopf doch noch herzugeben, ist die Videoaufnahme natürlich längst abgeschlossen und der Upload im Gange. Frohes Neues und da hilft dann auch erstmal nur ein Gläschen Champagner.
Sodann geht der Wein also in die Gläser, wo das übliche Plätschern durch ein wohliges Schäumen überdeckt wird. Der Champagner hebt sich eben auch durch seine ureigenste Geräuschkulisse ab. Die üblichen Gläser in Flötenform lassen zwar jeden Weinfreak schaudern, aber sie gehören halt zum Standardinventar und sollen hier nicht Thema sein. Und das vorsichtige Eingießen kennt man von anderen kohlensäurehaltigen Getränken. Aber auch hier hat sich der Champagner noch ein eigenes zusätzliches Denkmal gebaut. Die wahrscheinlich dekadenteste aller Methoden Wein einzuschenken und zu präsentieren: Es geht um die Champagnerpyramide.
Man kennt es, Gläser stapeln und von oben fleißig eingießen bis es über- und nach unten durchläuft. Es ist halt keine neue Technik.
Und eine Fallhöhe ist natürlich auch hier eingebaut, nicht nur physikalisch. Vor einigen Jahren durfte ich einer der in Frankreich nicht ungewöhnlichen Schloßhochzeiten beiwohnen und dort die Champagnerpyramide in freier Wildbahn erleben. Diese hielt dann allerdings das Prozedere der Hochzeitsfeier auf, genauer das Dessert. Der dem Hochzeitskuchen zugeteilte Champagner wurde nun von mehreren Servicekräften nach Kräften eingeschenkt, aber bei der gebotenen Vorsicht und der Aufbauhöhe der Pyramide nahm der Vorgang doch arg Zeit in Anspruch, bis nun auch die Gläser in Fundamentnähe gefüllt waren. Mit Coupe statt Flöte wäre man wohl ebenso besser beraten gewesen. Der Champagnerprofi weiß also die Höhe des Bauwerks zu beschränken, kleinere Gläser zu verwenden und rechtzeitig zu beginnen!
Spaß macht das ganze aber in jedem Fall und es tat auch der Hochzeitsstimmung keinen Abbruch, im Gegenteil. Ich weiß nicht mehr welchen Champagner es gab, aber es gab genug!
Das korrekte Zelebrieren steigert also den Spaß am Getränk doch deutlich. Vielleicht dieses Jahr mal die Plastikbecher in der Vitrine lassen? Prost!